Die Unendliche Liebe

Gott ist die Liebe.

"Seine große Aufgabe ist: lieben …

Er liebt. Das ist sein Leben, sein Tun, seine Freude …

Er liebt. Er will lieben und muß unaufhörlich lieben. Seine Liebe ist er selbst. Hörte er auf zu lieben, im gleichen Augenblick würde er aufhören, Gott zu sein.

Gott ist die Liebe. Er schenkt die Liebe ohne Maß, schüttet sie mit unerschöpflicher Fülle aus über die ganze Schöpfung. Nichts entgeht dieser göttlichen Flut, die alles überströmen will.“

(Claret de la Touche)



Gott ist vor allem Liebe

„Wir kennen Gott nicht! Gott ist die Liebe, und wir wissen es nicht. Schickt er uns eine schmerzliche Prüfung, sind wir zunächst verwirrt, daß uns so etwas zustoßen konnte. Dann erkennen wir seine Oberhoheit und Macht und beugen uns ihr; aber an seine Liebe denken wir nicht.

Und doch, wenn man sagen könnte, daß in Gott, in dem alles gleich ewig ist, etwas den Vorrang hat, möchte ich sagen, daß Gott, bevor er mächtig und weise, gerecht und gut war, schon die Liebe war ...

Nichts war in Gott vor der Liebe, und die Liebe war vor allen Dingen. Wenn ich in meiner Seele diese göttlichen Geheimnisse betrachte, kann ich nur in stummer Anbetung niedersinken. O Gott, der Du die Liebe bist! – Wenn wir das doch ganz tief erfaßten! Wenn wir doch ohne Zögern, so ganz aus ureigenstem Antrieb immer zu Dir aufschauen würden, zu Dir, der alleinigen Quelle allen Seins, dem wahren Leben, zu Dir, der alles bewegt und trägt!

(Claret de la Touche)



Die Abgründe der Liebe

„Seit einiger Zeit suche ich mich liebend in die Betrachtung der Unendlichen Liebe zu vertiefen. Meine Seele empfängt dabei sehr tiefe und starke Eindrücke, von denen ich etwas niederschreiben möchte.

Ich schaute vor mir einen unendlich weiten Abgrund, in dessen Tiefen kein menschliches Auge zu schauen vermochte: Es war die erschaffende Liebe.

Die unendliche Liebe hatte den Drang, sich nach außen mitzuteilen. Sie beschloß daher die Erschaffung des Menschen, um auf ihn ganz überströmen zu können ...
Zuweilen hielt Gott inne in seinem Werke, um zu sehen, ob alles gut gemacht war. Und er sah, daß nichts fehlte und alles gut war ...

Danach sah ich einen anderen Abgrund. – Der Mensch hatte gesündigt, hatte die göttliche Ordnung übertreten ... Aber die Liebe, die Vermittlerin Liebe, stellte sich zwischen den sündigen Menschen und den beleidigten Gott und schuf einen so tiefen Abgrund, daß die Gerechtigkeit den Menschen nicht mehr erreichen konnte, um ihn zu strafen.

Viele Jahrhunderte hindurch bewahrte diese Vermittlerin Liebe das sündige Geschöpf vor den Strafen der göttlichen Gerechtigkeit ...

Ein dritter Abgrund tat sich vor mir auf, so weit, so tief und unbegreiflich, daß nur eine unermeßliche Liebe zu ihm hinabsteigen konnte: Es war die Erlöserliebe.

Das Göttliche Wort war Mensch geworden, hatte die Erde betreten, hatte den Menschen die verborgenen Geheimnisse der Erlösung geoffenbart, hatte all sein Blut hingegeben und die sündige Menschheit in diesem heiligen Bad reingewaschen. Das ganze Leben Jesu, seine vielseitige, anbetungswürdige Hinopferung war darin enthalten und wirksam ...

Ein weiterer Abgrund der Liebe trat vor mein geistiges Auge: Die erleuchtende Liebe. Der Heilige Geist, der Geist Gottes, die wesentliche Liebe des Vaters und des Sohnes, war auf die Kirche herabgekommen, um ihr Leben und Fruchtbarkeit zu bringen ...

Ein fünfter Abgrund der Liebe tat sich vor mir auf. Die Zeiten waren vollendet; neue Himmel und neue Welten waren gebildet, und die verherrlichende Liebe war dabei, die Auserwählten zu krönen. Nichts fehlte der göttlichen Fülle. Die Kinder waren heimgekehrt in den Schoß des Vaters, und die Liebe gab sich selber die letzte Verherrlichung, indem sie die Geschöpfe verherrlichte.

Dieser unermeßliche Abgrund enthielt und umfaßte alle Wesen ...

Und noch einen letzten Abgrund sah ich, dessen Ausmaße kein menschliches Wort auszudrücken vermag und den kein erschaffener Verstand je ermessen hat. Es war die Liebe ohne äußere Form, ohne äußere Kundgebungen; es war der unendliche Gott selber.


Am Rande dieses unerforschlichen Abgrundes sank meine Seele in schweigender Anbetung nieder. Da war es mir, als hörte ich eine Stimme zu mir sprechen: „Die Unendliche Liebe umgibt, durchdringt und erfüllt alle Dinge. Sie ist die einzige Quelle des Lebens und jeglicher Fruchtbarkeit; sie ist ewiger Ausgangspunkt aller Geschöpfe und ihr ewiges Ziel. Willst du das Leben besitzen, willst du nicht unfruchtbar sein, zerbrich die Fesseln, die dich an dich selber und an die Geschöpfe ketten und versenke dich in diesen Abgrund.“

(Claret de la Touche)



Die Eigenschaften der Liebe (Teil 1)

„In den letzten Tagen habe ich mich immer wieder beschäftigt mit den vier Wörtern des hl. Paulus: … die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe (der Liebe). Die Liebe Gottes, die unermeßliche, grenzenlos weite Liebe konnte weder vom menschlichen Auge noch vom Blick der Seele ermessen werden.

Deshalb verdichtete der unendliche liebende Gott gleichsam seine göttliche Liebe und machte sie sichtbar im Herzen des menschgewordenen Wortes ...

Die Breite: Die Unendliche Liebe umfaßt alle Dinge. Es gibt kein Geschöpf, das die Unendliche Liebe nicht liebevoll an ihr Herz drückte. Es gibt kein einziges Geschöpf, das sie nicht von Ewigkeit gewollt, geschaut und geliebt hätte …

Da ist zunächst der Engel, dieses reinste Geschöpf, dieser unkörperliche Geist, diese Flamme lebendigen Feuers.

Dann der Mensch, der sich wesenhaft zusammensetzt aus einem Körper von Fleisch und Blut und einer unsterblichen, mit dem Licht des Verstandes und der Vernunft ausgestatteten Seele; ein wundervolles Geschöpf, das unter einer leidensfähigen sterblichen Hülle eine geistige Seele birgt, jenes geschaffene Licht, das entfacht und geheiligt ist vom göttlichen Licht.

Dann die Tierwelt, die wächst und sich mehrt unter dem Segen Gottes, sicher geführt und geleitet zu ihrem Ziel durch den wunderbaren Instinkt.

Die Bäume des Waldes, in denen der aufsteigende Lebenssaft jedes Frühjahr neue Knospen treibt.

Die Blumen des Felder, die sich neigen unter dem Hauch des Windes und blühen zur Ehre ihres Schöpfers.

Endlich auf der untersten Stufe die leblosen Wesen, die ebenfalls aus dem göttlichen Urquell ihre Gestalt und ihre Schönheit empfangen.

(Claret de la Touche)



Die Eigenschaften der Liebe (Teil 2)

„In den letzten Tagen habe ich mich immer wieder beschäftigt mit den vier Wörtern des hl. Paulus: … die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe (der Liebe)…

Die Länge: die grenzenlose Dauer dieser Liebe. Zum ersten Male haben die Geschöpfe die Liebe des Schöpfers empfangen am Tage der Schöpfung; aber in Gott hatte die Liebe für das Geschöpf keinen Anfang.

Er trug die Idee der Geschöpfe seit Ewigkeit in sich selbst. Darum liebte Gott sie, noch bevor er sich schuf, und er hat sie geliebt von dem Augenblicke an, da er sie in seinen Gedanken geschaut. Hat er sie vielleicht erst in der Zeit geschaut? Hatte er nicht vielmehr ihre Idee in sich, seitdem er Gott war? Und wann fing er an, Gott zu sein?

Seit urgrauer Zeit also, ohne Anfang, hat die Unendliche Liebe alle Geschöpfe in Liebe umfaßt.

Wird er eines Tages aufhören zu lieben? Niemals! Die Liebe in Gott ist unveränderlich und ohne jeden Wechsel. Was er einmal geliebt hat, liebt er immer, und wenn er zuweilen schlägt, wenn er vernichtet, ist es immer die Liebe, die ihn leitet.

Er hat seit aller Ewigkeit geliebt und wird durch alle Ewigkeiten hindurch lieben.
Wer wird die Länge dieser Unendlichen Liebe je ermessen? Wer wird ihren Anfang festlegen und wer wir ihr ein Ende setzen? Er hat immer geliebt und wird immer lieben, durch alle Ewigkeit.“

(Claret de la Touche)



Die Eigenschaften der Liebe (Teil 3)

„In den letzten Tagen habe ich mich immer wieder beschäftigt mit den vier Wörtern des hl. Paulus: … die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe (der Liebe)…

Die Höhe: Die Unendliche Liebe ist zu unfaßbaren Höhen emporgestiegen …

… Sie hat sich in diesem alleinigen Gott erhoben bis zum Entschluß zur Schöpfung, bis zur Durchführung dieses erhabenen Werkes, bis zu der göttlichen Freigebigkeit, mit der die Geschöpfe bedacht worden sind …

… Diese Liebe zeigt sich in ihrer ganzen Größe, als das Wort Mensch wurde, als es Kind wurde, arm, gedemütigt und leidend; als dieses Göttliche Wort unter uns lebte in schlichter Einfachheit, in unerschöpflicher Güte, sich selber restlos schenkend. In aller Größe, als er am Ölberg die Todesangst durchlitt beim Anblick unserer Sünden, als er vor den Menschen stand, gefesselt, gegeißelt, verspottet, gekreuzigt …

… In erhabener Größe seit langen Jahrhunderten in unseren Tabernakeln, wo er sich zum Gefangenen macht, im heiligen Opfer, wo er sich ununterbrochen hingibt, in der Eucharistie, wo er unsere Speise ist …“

(Claret de la Touche)



Die Eigenschaften der Liebe (Teil 4)

„In den letzten Tagen habe ich mich immer wieder beschäftigt mit den vier Wörtern des hl. Paulus: … die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe (der Liebe)…

Die Tiefe: Wer wird jemals hinabsteigen können in die Tiefen dieses undurchdringlichen Abgrundes? …

Die Zeit, die doch alles auflöst, vermochte nichts gegen sie. Die Flut menschlicher Schandtaten ist an ihr zerschellt, wie die stürmischen Meereswogen sich brechen am Granitfels.

Die ganze Ewigkeit reicht den Seligen nicht aus, um die Tiefen dieser abgrundlosen Liebe zu ergründen.

Die Tiefe: Gehen wir zum Herzen Jesu. Treten wir ein durch die weite Öffnung, die ihm die Lanze gemacht hat; schauen wir in diesen Abgrund göttlicher Liebe, suchen wir diese Tiefen zu ermessen.

Doch nein, die Seele ergreift eine Art Schwindelgefühl, wenn sie in diese Tiefen der Liebe hineinschaut. Wir müssen die Augen schließen, jeden Stützpunkt aufgeben und uns einfach fallen lassen in diese göttlichen Tiefen, ohne begreifen zu wollen, ohne eine Erklärung zu suchen.

Die Liebe kann man nicht erklären. Man ersehnt und sucht sie, man verkostet sie, man berauscht sich an ihr; man lebt von ihr und stirbt in ihr, aber man kennt sie nicht!

O die Tiefe!“

(Claret de la Touche)



Die Pläne der Unendlichen Liebe

„In den ewigen Höhen, wo er wohnt, in dem erhabenen ewigen Schweigen, in dem er ruht, ohne seine Tätigkeit je zu unterbrechen, hat Gott Pläne der Liebe.

Könnte er vielleicht anders sinnen, er, die Unendliche Liebe? Was könnte er planen, wenn nicht Werke der Liebe?

Gott hatte also den Plan, zu lieben und geliebt zu werden, nicht nur von sich selbst, sondern auch von anderen, von ihm geschaffenen Wesen …

Die Engel, das Weltall, die Menschheit traten nach und nach hervor durch die wirksame Kraft seines allmächtigen Wortes, und der Geist der Liebe hatte sein Wohlgefallen an diesen Wunderwerken. Der Mensch, der Jüngstgeborene der Schöpfung, wurde von Gott, gleich Benjamin, in besonderer Weise geliebt. Gott hatte für ihn neue Pläne der Liebe.

O, wie wunderbar sind Gottes Pläne!

Als unerreichbarer göttlicher Künstler hatte er den Menschen geformt…
Bald kam die Sünde darüber und verunstaltete mit ihrem giftigen Odem das göttliche Meisterwerk. Doch Gottes Plan wurde dadurch nicht zunichte.

In der Fülle der Zeiten stieg das Ewige Wort hernieder, umkleidete sich mit einem leidensfähigen, sterblichen Leibe, wurde Mensch. Da hatte sich Gottes Plan verwirklicht. Gott und Mensch waren ganz eins: in Jesus Christus bildeten sie eine göttliche Person…

… Gott ist die Liebe, und die Liebe ist unersättlich im Verlangen nach Vereinigung. Er ersann darum neue innige Verbindungen: die Eucharistie, die Kirche, mit deren Leib sich auf das engste sein Heiliger Geist verband; es war besonders das Priestertum, in das er sein Herz hineinlegte ...“

(Claret de la Touche)