„Jesus unterrichtete alle in der Wahrheit, Große und Kleine, Arme und Reiche, Kinder und Greise. Vom Obersten der Priester bis zur armen Samariterin wurden alle durch sein Wort belehrt, empfingen alle die Wahrheit aus seinem göttlichen Mund. Mit wunderbarer Beweglichkeit des Geistes und beispielloser Demut wußte er sich der Fassungskraft seiner Hörer anzupassen.
Mit Nikodemus, dem Lehrer in Israel, spricht er tief und erhaben und geht auf die höchsten Geheimnisse ein. Den Priestern und Schriftgelehrten gegenüber stützt sich seine Redeweise ganz auf das Gesetz, die Propheten, die Heilige Schrift. Vor dem Volke ist er einfach und volkstümlich. Er nimmt seine Vergleiche von der Feldarbeit, wie z. B. in seinen herrlichen Parabeln vom Sämann, vom Senfkörnchen, vom Weinberg usw.
Immer richtet er sich nach seiner Zuhörerschaft, aber nie vergibt er sich auch nur im geringsten. Nie redet er gesucht und unverständlich, auch nicht bei den erhabensten Gegenständen. Welcher Reiz liegt in dieser Lehrweise Jesu, die so lichtvoll ist und doch so einfach, so reich an himmlischer Weisheit und so frei von allem überflüssigen Beiwerk! Welch traute Majestät in jedem seiner Worte! Was für ein freundlicher Ernst und bescheidene Würde, welche Überzeugungskraft, Klarheit der Darlegung und Anmut! Welch feinempfundene, hohe Poesie in seinen Vergleichen aus der Natur!
Ja, wenn man im einzelnen den unwiedergeblichen Reiz der Rede unseres Herrn festhalten könnte! Es ist das Wort des Vaters, es ist der göttliche Meister, der vom Himmel kam, um die Seelen zu lehren. Haben wir damit nicht alles gesagt?
Auch der Priester ist es allen schuldig, sie in der Wahrheit zu unterweisen. Will er wahrhaft Apostel, wirklich Priester Jesu sein, dann muß er wie Jesus allen alles werden. Sein einziges Ziel muß dann sein: die Wahrheit mitzuteilen, die er besitzt, und die Liebe, die in ihm brennt.
Weit entfernt also, auf eine besondere Eigenart bedacht zu sein oder eine neue und ganz persönliche Methode zu suchen, die höchstens einige interessieren würde, soll sich der Priester bemühen, sich seinen Zuhörern anzupassen. Immer klar und genau, soll er die Wahrheit einfach vortragen, mit der einzigen Absicht, Gutes zu tun. Dann wird er das Geheimnis jener eindringenden Salbung gefunden haben, die aus dem Herzen kommt und die dem Priester von der doppelten Liebe zu Jesus und zu den Seelen eingegeben wird. Bei der Darlegung der Wahrheit soll er das Beste bieten, was er in sich selber hat, und soll, ohne jemand geringzuschätzen, sich ganz seiner hohen Sendung hingeben: Lehrer der Seelen zu sein.“
(Claret de la Touche)