Freitag, 16. Juli 2010

Jesus - das Vorbild des Priesters

„Nach einer langen und verschwiegenen Vorbereitung von dreißig Jahren begann Jesus zu lehren. Er barg in sich die Fülle allen Wissens ... Sein Verstand besaß mühelos das Wissen, wie sein Herz die Liebe ungehindert in sich trug, ohne daß er, wie andere Menschen, erst mühsam hätte lernen müssen.

Und doch läßt Jesus dreißig Jahre vergehen, bis er seine himmlische Weisheit offenbart. Warum dieses lange Warten? Warum der Menschheit so lange das himmlische Licht vorenthalten, das die Nacht ihrer Unwissenheit bannen sollte?

Vergessen wir nicht, daß Jesus unser Vorbild ist. Er wußte, der Mensch braucht lange und mühevolle Arbeit, um sich die zur Belehrung der Seelen notwendigen Schätze der Weisheit und des Wissens zu erwerben, und er wollte seinen Priestern das Beispiel einer langwierigen, ernsten Vorbereitung geben.

Handelt es sich um weltlichen Unterricht, so genügt das Wissen und das Geschick zu lehren. Handelt es sich aber darum, Gott den Seelen und die Seelen Gott zu geben, so reicht die Bildung des Geistes nicht mehr aus. Der ganze Mensch muß umgeformt werden. Es muß selber durch eine Reihe von Prüfungen gehen und wenigstens anfangen, sich jene Erfahrung menschlichen Leides, Versagens und Elends zu erwerben, die er besitzen muß, um seine Brüder zu unterweisen und zu belehren ...

Diese Stimme Jesu, so bescheiden und so lieb, erklang nur drei Jahre lang auf einem kleinen, vor allen anderen bevorzugten Flecken Erde. Nur wenige hörten sie. Was sie lehrte, so ganz im Gegensatz zu den Ideen, die bis dahin herrschend waren, schien Torheit und Wahn und doch: es war die Wahrheit! Und die Wahrheit währt ewig. Immer wird sie schließlich über die Lüge triumphieren, nie wird sie untergehen, denn sie ist aus Gott geboren und ist unsterblich wie Gott.

Die Wahrheit! Sie muß der Priester nach Jesus und mit Jesus der Welt bringen. Um sie lehren und anderen mitteilen zu können, muß er sie selber ganz besitzen, und um sie zu besitzen, muß er sie an ihrer Quelle schöpfen. Er muß sie beim göttlichen Meister holen ...

Die Wahrheit Gottes ist unveränderlich und unwandelbar ... Auch in den Ereignissen und Wechselfällen der Zeiten ist eine Änderung der Wahrheit nur scheinbar. Je nachdem der menschliche Geist mehr oder weniger rein ist, sieht er sie mehr oder weniger klar. Die Wahrheit kann im Verstand des Menschen sich entfalten und zunehmen oder auch schwinden. Aber in sich ist sie nur eine und unveränderlich …“

(Claret de la Touche)